Das Sprachrohr Gottes

Sie prophezeit Katastrophen, Atomkrieg, Weltuntergang: Gabriele Wittek, 63, Führerin des 'Universellen Lebens', der größten deutschen Sekte. Experten schließen unter ihren Anhängern einen Massenselbstmord wie jetzt in San Diego nicht aus

Die Bodyguards sind schon vor einer halben Stunde in Stellung gegangen. Einer hat sich in einem alten Opel Kadett verschanzt. Manche drehen zu Fuß ihre Runden um das Gebäude, über dem in weißen Leuchtbuchstaben 'Universelles Leben' steht. Die Herren, mit Ohrhörern und Mikrofonen ausgerüstet, nennen sich die 'Gewappneten'.

Jetzt schieben Helfer das schwere Gitter am Haupteingang, schräg gegenüber dem Würzburger Hauptbahnhof, beiseite. Es ist Sonntag, kurz nach neun. Zu Hunderten strömen die Gläubigen, die aus ganz Europa angereist sind, fein rausgeputzt an den Bodyguards vorbei. Gleich beginnt der Gottesdienst der 'Innere Geist = Christus Kirche'. Ein Mini-Orchester, besetzt mit Cello, Violine, Querflöte und Piano, erfüllt den abgedunkelten Raum mit sphärischen Klängen. Das Getuschel in Deutsch, Italienisch und Spanisch verstummt. Novizen halten Prospekte des Meditationskurses in Händen: 'Du erlangst die seelische Bewußtseinserweiterung und das Einswerden mit Christus.' Die meisten haben die Augen geschlossen und die Handflächen gen Himmel gerichtet. Draußen bei den 'Gewappneten' kommt derweil Nervosität auf. Ihr Chef, ein ehemaliger Polizeihauptkommissar, erteilt letzte Kommandos. Hastig schieben sie das grüne Eisentor am Rückgebäude auf. Schon schießt ein ein perlmuttfarbener Audi 200 um die Ecke. Auf dem Beifahrersitz: Gabriele Wittek, selbsternannte 'Prophetin der Jetztzeit' oder auch 'Sprachrohr Gottes'. Die 63jährige Chefin der Glaubensgemeinschaft Universelles Leben (UL), die ihr schwarzgefärbtes Haar zu einem Knoten gebunden hat, ist mit nichts Geringerem beschäftigt als mit dem Aufbau des weltumspannenden '1000jährigen Friedensreiches Jesu Christi'. Würzburg ist die Zentrale. Durch sie, so behauptet Gabriele Wittek, spricht zum erstenmal seit der Kreuzigung von Jesus Christus wieder Gott zu den Erdenbürgern: 'Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben, laß alles stehen, folge mir nach ... ich führe dich ins höchste Glück.' Glaubt man führenden Sektenexperten, dann führt der Weg eher in die Katastrophe. 'Ich will nicht behaupten, daß ein Massenselbstmord unter den Wittek-Gläubigen wie jetzt in den USA bevorsteht. Aber die UL-Führung treibt möglicherweise auf einen Punkt zu, der nicht mehr kontrollierbar ist', sagt der Sektenbeauftragte der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern, Pfarrer Wolfgang Behnk. 'Die spielen in gefährlicher Weise mit dem Feuer, weil sie Endzeitängste schüren und geschickt Feindbilder aufbauen. Es ist so, als ob man mit einer angezündeten Lunte in einem Sprengstoffschuppen nach dem rechten sehen würde.' Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof teilt die Furcht des Kirchenmannes. Nicht zuletzt wegen der totalitären Struktur der Sekte könne die Gefahr drohen, daß eine 'Art Verfolgungshysterie' ausbreche, urteilten die Richter, als das UL Behnk den Mund verbieten lassen wollte. Er hatte schon nach dem Sekten-Drama 1993 in Waco, Texas, gewarnt, so was könne auch in Franken passieren. Jetzt rückt die Jahrtausendwende näher, und um so mehr verdichten sich die Weltuntergangs-Ängste von Sektierern aller Art. Die Wittekianer etwa glauben, daß bis zum Jahr 2000 alle Menschen, die nicht auf der 'Weisheits- oder Ernststufe' stehen, zur Sühne ihrer vielen Sünden einen schrecklichen Tod sterben werden. Einen Atomkrieg hat die Prophetin bis zum Jahr 2000 vorhergesagt, und eine Giftwolke, die man nur zwei Monate im Keller überleben würde. Ganz Deutschland solle überflutet werden, nur Würzburg bliebe verschont. Auch eine Landverschiebung ist vorausgesagt, die eine lammförmige Erdscholle bei Würzburg dann dorthin katapultiere, wo heute Jerusalem liegt. Um all die Katastrophen zu überleben, ist UL-Anhängern angeraten worden, ihre Häuser zu vertäuen, Sandsäcke zu beschaffen und Lebensmittellager einzurichten. Manche Aussteiger benutzen heute noch Klopapier aus dem Lagerbestand, den sie sich vor Jahren zugelegt haben. Rettung ist nur durch Gabriele Wittek in Sicht. Auf telepathischer Ebene, so behauptet die UL-Chefin, habe sie Kontakte zu einem Ufo-Kommandanten namens Mairadi. Angeblich hat der ihr offenbart, er und seine Kollegen würden die Auserwählten vom UL zu gegebener Zeit in ein anderes Sonnensystem retten: 'Wir können euch jetzt nur warnen und uns auf die kommende Zeit, auf die Bergungsaktion vorbereiten.' Fast unbemerkt von der Öffentlichkeit ist es der Tochter eines Schneidermeisters aus Wertingen bei Augsburg in mehr als '20 Jahren im Dienste des Ewigen' (UL-Zentralorgan 'Christusstaat') gelungen, aus einem kleinen Häufchen Anhänger die bedeutendste deutsche Sekte zu machen. Mehr als jede andere neureligiöse Bewegung hat das UL das Land wie ein Krake überzogen. Und keine ist besser organisiert. Allein in der Bundesrepublik gibt es rund 50 Niederlassungen des Imperiums, das im Würzburger Branchenbuch unter 'Wirtschaftsverbände' firmiert. Rund 100 000 Anhänger im deutschsprachigen Raum geben ihr Bestes, damit das Unternehmen floriert. Etwa 100 dem UL nahestehende Betriebe machen Millionen-Umsätze. Die Abrechnungsprogramme 'MediStar' der UL-Firma 'EDV für Sie' erfassen allein in Unterfranken in 400 Arztpraxen die Patientendaten. Die Endzeitsekte ist achtsprachig im Internet, betreibt Kindergärten, Seniorenheime, ein Einkaufszentrum, eine Apotheke, eine eigene, staatlich finanzierte Schule, wo schon die Kinder aufs große Finale vorbereitet werden, sowie eine Klinik und ein Reha-Zentrum, in denen der UL-Grundsatz gilt: 'Krankheit ist letztlich Folge der Sünde.' Zwar ist das UL inzwischen ins Visier des Staatsschutzes geraten, und der Bayerische Landtag hat die Regierung in München aufgefordert, Stellung zur Sektenschule zu beziehen, die laut Verwaltungsgerichtshof als 'grundgesetzwidrig' bezeichnet werden darf. Aber keine andere Glaubensgemeinschaft in Deutschland wächst, so vermuten Sektenexperten, schneller als das UL. Auf U-Bahnhöfen in nahezu allen großen deutschen Städten wirbt das UL mit 'urchristlichen' Parolen. Das Tückische ist, daß die meisten Deutschen das noch immer für die Mitteilungen eines harmlosen Gebetskreises halten und nicht für die Werbung von Seelenfängern, denen es nur um eines geht: um Macht und Geld. Tagtäglich bieten Wittek-Gläubige auf mehr als 30 Wochenmärkten in der ganzen Republik Gemüse, Brot und Wein aus 'biologischem Anbau' feil. Wer weiß schon, daß der Erlös des Honigs mit dem Etikett 'Gut zum Leben' auch dem '1000jährigen Friedensreich' des UL zugute kommt? Wer weiß schon, daß in den Sektenkliniken, für die in properen Hochglanzprospekten geworben wird, die Patienten auch in den Genuß von Medidationen gelangen können, die auf den 'inneren Weg' führen, der die 'Umprogrammierung der Gehirnzellen' zum Ziel hat? Wer von den oft mit letzter Hoffnung suchenden Kranken weiß schon, daß in diesen Kliniken zumindest früher mit kosmischen Christusstrahlen behandelt wurde? Mancher, der deswegen auf die Schulmedizin verzichtete, soll das mit dem Leben bezahlt haben. 'Ich weiß, daß das eine Sekte sein soll', sagt die Hausmeisterin der Schule gegenüber dem UL-Headquarter in Würzburg. 'Aber auf die lass' ich nichts kommen. Die sind immer sehr freundlich, und ich bin ihnen sehr dankbar.' Zum einen, weil die Bodyguards der Prophetin mit ihren Schäferhunden die Gegend sicherer machten; zum anderen hätten Freiwillige vom UL-Sozialdienst 'Helfende Hände' ihre schwerkranken Eltern betreut bis zum Tod. Die Glaubensbrüder kümmern sich in solchen Fällen auch gerne ums Erbe, wie Sektenexperten vermuten. Noch nie hat die Hausmeisterin auch nur einen Blick auf die Prophetin werfen können. In Sekundenschnelle verschwindet die ehemalige Kontoristin des Münchner Modehauses Loden-Frey im Gebäude. Kurz darauf schwebt sie im Lastenaufzug des ehemals größten Würzburger Möbelhauses hinauf in den Gebetsraum. Abgeschirmt von den engsten Vertrauten, die sie verehren wie einen Gott. Zehntausende Gläubige in 80 Dependancen im deutschsprachigen Raum sind per Telefon dem Gottesdienst zugeschaltet. Dolmetscher im ersten Stock sorgen dafür, daß die Botschaft simultan über Radiokanäle wie 'Das Wort Die kosmische Welle' oder 'Radio Moskau' in alle Welt getragen wird. 'Die Erde wird sich auftun und viele Menschen verschlingen', behauptet die Prophetin, die nach dem Tod der Mutter in spiritistischen Zirkeln erstmals Kontakt zum Jenseits aufgenommen hat. Zunächst wollte sie nur Seelen retten, doch dann offenbarte 'ER' durch sie: 'Der Herr will sein Weltreich gründen.' Spendenaufrufe folgten: 'Wer möchte Christus durch die Umschichtung seines Vermögens helfen?' Der Klingelbeutel im Foyer der UL-Kirche hat nur symbolischen Wert. Denn das UL will von den Seinen mehr. Am liebsten alles. Gradmesser des richtigen Glaubens ist die Bereitschaft, sich auch von weltlichen Gütern trennen zu können, sich 'einzubringen'. Die 8000 Anhänger, die sich in der Nähe von Würzburg angesiedelt haben, können als Fortgeschrittene gelten. Aber nur die etwa 800 Glieder der 'Bundgemeinde Neues Jerusalem' zählen zur Elite, die alles gibt, um gerettet zu werden, wenn 'das Weltenschiff sinkt'. In der Gemeindeordnung heißt es: 'Ein echtes Glied der Gemeinde wird sich an seinem noch vorhandenen Vermögen nicht bereichern.' Unternehmer und reiche Erben, Ärzte, Architekten, Lufthansa-Kapitäne und sogar ein früherer Vorsitzender Richter des Landgerichts Heilbronn bringen Millionen. Auch Richard Sax, inzwischen im größten deutschen Anlagebetrugsprozeß zu sechs Jahren Haft verurteilt, weil er Investoren um 800 Millionen Mark geprellt hat, lieferte über Konten in Liechtenstein sein Geld. Wir versuchen nichts weiter als ein urchristli ches Experiment, wollen nur nach der Bergpredigt leben', sagt UL-Pressesprecher Dr. Christian Sailer, ehemals führender Anwalt der ökologischen Bewegung, aus München, der 1980 Scientology gegen die Bundesrepublik vertreten hat. Heute kämpft er als Anwalt der 'Urchristen' mit Unterstützung einer großen Steuerberaterkanzlei in Frankfurt dafür, daß das UL als gemeinnützig anerkannt wird. Aus der Wittekschen Rechtsabteilung stammt auch die Klage beim Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen in Genf. Das UL fühlt sich, wie die Scientologen, vom 'Dämonenstaat' Deutschland diskriminiert. 'Gabriele sagt immer, es könnte viel mehr erreicht werden, wenn wir noch mehr den menschlichen Egoismus ablegen würden', sagt Harald Dohle, Berater und ständiger Begleiter der Prophetin. Die UL-Anhänger verbeugen sich vor dem Herrn mit dem grauen Bürstenhaarschnitt, wenn er in maßgeschneiderter Kombination aus der ULFirma 'Cos-mosChic' die ULBetriebe durchschreitet. Die Ehrfürchtigen wissen: Keiner kommt der Prophetin so nah wie der ehemalige Jesuitenschüler. Gemeinsam wohnen sie, verbarrikadiert hinter elektrisch geladenem Zaun und Verbotsschildern, in 'G', wie Eingeweihte den ehemaligen Gutshof Greußenheim bei Würzburg nennen. Dohle chauffiert die Prophetin im perlmuttfarbenen Audi, und er bezahlt auf den Einkaufstrips nach Mailand und München, wo das Pärchen ab und zu im Hilton-Hotel am Tucherpark absteigt. 'Die grauen Haare habe ich im UL bekommen', sagt Dohle, der verantwortlich ist für den wirtschaftlichen Erfolg des Glaubenskonzerns. Früher war er mal Technischer Direktor eines 1000-Mann-Betriebes. Dort räumte er wegen problematischer Nebentätigkeiten seinen Schreibtisch. Aber darüber spricht Dohle nicht. Er sagt nur: 'Ich wollte nicht länger Knecht des Kapitalismus sein.' Dohle hat den Spieß umgedreht. Jetzt ist er die maßgebliche Figur im 'Verein der Mitarbeiter in Christusbetrieben'. 'Der Verein steht hinter einem komplizierten Firmengeflecht', sagt der Würzburger Rechtsanwalt Ulrich Heidenreich. 'Über schwer erkennbare Schaltstellen kann man so Einfluß nehmen bis ins kleinste Glied.' Dabei greift das Management auch 'zu Tricks, die nicht immer sauber sind. Die Gutgläubigkeit und Unerfahrenheit der Anhänger, die ihr Geld einbringen wollen, wird zum Teil ausgenutzt', sagt Jurist Heidenreich. 'Manchmal mit Vertragswerken, die man als sittenwidrig ansehen könnte.' Die Nürnberger Hotelbesitzerin Betty Käferstein ist nur ein Beispiel von vielen. Sie und ihr Mann hatten beim UL drei Millionen Mark eingebracht. Nach ihrem Ausstieg bedurfte es zäher Gerichtsverhandlungen, bis das UL das Geld zurückzahlte. Hat einer kein Vermögen, ist seine Arbeitskraft in den UL-eigenen Betrieben gefragt. Er muß 'bienen' für Gottes Lohn. Motto: 'Wer dient, verdient.' Nach Feierabend geht's oft zum 'freiwilligen Dienst' bei den 'Gewappneten' oder zu 'Friedensgruppen'. Nicht selten dauern solche Sitzungen bis spät in die Nacht. Die Verantwortlichen müssen am Wochenende beim 'Überdach' Rechenschaft ablegen für schlechte Betriebsergebnisse. Mehr und mehr werden die Anhänger von der Außenwelt isoliert und einer totalitären Organisationsstruktur unterworfen', sagt der Sektenbeauftragte Behnk. Noch nie habe eine 'Prophetin' ihren Führungsanspruch so rigide formuliert wie Gabriele Wittek: 'Ich bin das absolute Gesetz selbst.' Und wie fanatisch die Urchristen vom UL sind, erfährt Pfarrer Behnk am eigenen Leib. Mal verteilen sie Flugblätter ('Achten Sie auf Ihren Nachbarn') in seinem Wohnbezirk. Mal wird seiner Frau beim Einkaufen im Supermarkt eine Cassette mit der Botschaft der Prophetin überreicht: 'Vorsicht, Pfarrer Behnk, wir kommen.' 'Sie kann die Leute zum Äußersten treiben. Alles hängt davon ab, wie Gabriele sich weiterhin psychisch abnorm entwickelt', sagt der Nuklearmediziner Dr. Manfred D., der wie kaum ein anderer die Strukturen des Universellen Lebens kennt. Zehn Jahre lang war D., früher Leitender Arzt am Kreiskrankenhaus Hanau und Strahlenschutzbeauftragter in Hessen, Leibarzt der Prophetin. Er baute die sekteneigene Klinik auf. 'Ich kam selten auf mehr als fünf Stunden Schlaf pro Nacht', erinnert sich D. Da beim UL Heilen groß angesagt ist, war der Mediziner hochwillkommen. Der wiederum 'war frappiert von dem Gedankengut. Die haben auf alles eine Antwort. Ich wollte das überprüfen und ließ alles Material kommen. Wenn man das alles gelesen hat, glaubt man daran'. Der Mediziner stieg in die Führungsetage auf, hielt sich an die Offenbarung der Prophetin und trennte sich von Frau und Kindern. Und freute sich über seine persönliche Offenbarung, die die Prophetin mit 'Vaterworten' überschrieb: 'Ich gebe Dir hiermit das geistige Schwert... Laß Dein Wollen zu meinem Willen werden, dann kann das, was in Dir liegt, zum Durchbruch kommen.' 70 Stunden die Woche baute D. als Chefarzt die Christusklinik 'Haus der Gesundheit' auf, hielt Vorträge, proklamierte ein 'neues Heilverfahren nach kosmischen Gesetzen'. Kernsatz: 'Keine Krankheitserreger treffen mich, weil der Unendliche in jeder Zelle meines Körpers wirksam ist.' Der rechte Glaube mache immun gegen atomare Strahlung. Sogar Krebs und Aids hielt er nun für heilbar. Seine zweite Frau, die er im UL kennengelernt hatte, schwängerte er mit der Absicht, durch die Kinder verirrten Seelen die körperliche Hülle zu schenken und ihnen somit zur Inkarnation zu verhelfen. Und zur Beerdigung seiner Eltern erschien er in violettem Mantel als Zeichen der Freude, daß für die Verstorbenen das Leben nun in eine neue Runde gehe. Patienten aus der ganzen Welt kamen zu D. Manche verkauften ihre Wohnungen, um sich den teuren Klinikaufenthalt erlauben zu können. Die Frau des Kieler Psychologen Klaus Meurer war das erste Todesopfer. Sie litt an Brustkrebs, verzichtete auf schulmedizinische Behandlung und starb. 'Aber wo soll man ermitteln, wenn es keine Anzeige gibt?' sagt der Würzburger Kriminaloberrat Wolfgang Geier. 'Solche menschengefährdenden Sekten-Programme können nur in kranken Köpfen entstehen', meint Hans-Walter Jungen, Chef der Bürgerinitiative gegen das UL, der inzwischen ein Buch über die 'Prophetin und ihr Management' geschrieben hat. Zu Jungen kommen Eltern, deren Kinder im UL sind und von der Familie nichts mehr wollen außer dem vorzeitigen Erbe, und auch die Witwe des Postoberinspektors Günter Zeranski aus Kiel suchte ihn auf. Ihr Mann war auf 44 Kilo abgemagert. Er hatte aufgehört zu essen, weil er sich die Witteksche Losung, alles sei genmanipuliert, zu sehr zu Herzen genommen hatte. Als die Feuerwehr ihn fand, lag er tot auf seinem Bett an der Wand hingen UL-Plakate. Manfred D., dessen Patient Zeranski war, sagt: 'Wer hundert Prozent daran glaubt, überlebt es nicht.' Ihn selbst hatte gerettet, daß seine zweite Frau dagegen rebellierte, ihre Kinder kurz nach der Geburt ins 'Vater-Mutter-Haus' zu geben. 'So etwas würde Christus niemals vorschreiben', sagte sie bei Gemeindeversammlungen. Zunächst wurde Renate D. an den 'Nullstimmentisch' für unliebsam gewordene Anhänger abgeschoben. In 'Friedensgesprächen' legte man ihr dann den Ausstieg nahe. Ohne Job und mit inzwischen drei Kindern stand die ehemals gutbezahlte Sekretärin einer Salzburger Steuerkanzlei vor dem Nichts. 'Wenn uns die Bauern aus der Nachbarschaft nicht unterstützt hätten, wären wir verhungert', sagt sie heute. Auch Manfred D. fiel in Ungnade. Mal, weil er sich immer noch ab und zu bei seiner Frau blicken ließ. Mal, weil er zögerte, seine Buchhaltung und Steuerberatung von der UL-Firma 'Kosmo-Data' führen zu lassen. Dann wieder hagelte es Prophetendonner, weil die Umsätze in der Klinik zurückgingen. Immer häufiger mußte D. zu 'Friedensgesprächen'. Er fiel vor seiner Prophetin auf die Knie, stammelte: 'Gabi, ich liebe dich.' Doch Frau Wittek ('Alle Männer sind Waschlappen') verordnete Demutsphasen. Er mußte in der Küche putzen nur das Reinigen von Toiletten blieb ihm erspart. 'Stellen wurden nicht nach Können besetzt, sondern nach Ideologie', sagt D. UL-Mitglieder, die sich nichts gefallen ließen, mußte er schon mal in die Nervenheilanstalt Lohr fahren, wo er jedoch nie jemanden losgeworden sei. 'Für die Psychiatrie reichte es halt noch nicht.' Als Glaubensbrüder im September1995 D. mit Gewalt vors Tribunal zerren wollten, weigerte er sich und türmte. Zunächst flüchtete er zu Fuß, dann per Anhalter zu seiner Frau, die den völlig abgemagerten Mann kaum wiedererkannte. 'Die Wittek hat mit ihren Machenschaften auch mein Leben ruiniert', sagt D. In einem Prozeß zwischen UL-Gegnern und der Sekte soll er nun im Frühsommer als Kronzeuge der Opfer auftreten und von Patienten berichten, die er noch selbst in der Sektenklinik behandelt hat. Diese Fallbeispiele sollen belegen, was der Psychologe Alfred Spall bereits in einem Gutachten für das Bundesjugendministerium festgestellt hat: 'Der Zugriff auf die Psyche scheint radikal, totalitär und mit hohen gesundheitlichen Risiken behaftet.' Vor diesem Prozeß ist der Prophetin bange. Sie sei nervlich sehr angeschlagen, heißt es. Selbst auf ihre geliebten Einkaufstrips nach Mailand und München würde sie derzeit verzichten; beim Gottesdienst in ihrer Kirche läßt sie sich immer seltener sehen. Das UL-Zentralorgan 'Christusstaat' wurde im März umbenannt in 'Das Weiße Pferd'. Den Titel habe man 'unter Bezugnahme auf die Johannes-Apokalypse gewählt, wo das Wort Gottes in die Endzeit auf einem weißen Pferd in die Welt' komme. In einer Erklärung ließ die Prophetin verlauten, sie habe das Bedürfnis, 'den Herbst des Lebens kommen zu lassen'. Bei Sektenexperten wie Pfarrer Behnk wächst die Angst, UL-Anhänger könnten, wie jetzt beim Massenselbstmord in San Diego, ihrer Prophetin in den Tod folgen. Er hat Briefe von UL-Anhängern, die ihm schrieben, sie wären bereit, für Christus zu sterben. Für den Fall eines Massen-Suizides hat die UL-Chefin bereits eine Legende gestrickt: 'Sollten einige Urchristen hingemordet werden, haben sie sich nicht selbst das Leben genommen, sondern wurden getötet.'


Joachim Rienhardt, Stern Nr. 16, 1997

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