Vegetarier sind Mörder!
von Philip Jaeger
Fotos: Maqi, tierrechtsbilder.de
Wir ernähren uns von Menstruationsprodukten, Drüsensekreten, Erbrochenem und Leichen.
Wir essen das, was die Tiere ausscheiden und manchmal essen wir auch die Tiere selbst. Dafür
nehmen wir sie in Haft, quälen und töten sie. Das erinnert Achim Stößer an Inquisition, Sklaverei
und Faschismus. Und dagegen, meint er, lohnt es sich zu kämpfen.
Als Leichenfresser könnte man denken, es
sei schwer, mit Achim Stößer ins Gespräch
zu kommen. Leichenfresser sind für ihn
Menschen, die Fleisch essen. Aber Achim
Stößer ist nicht nur überzeugter Veganer,
sondern auch Pragmatiker. Schließlich
geht es um eine große Sache: Gerechtigkeit
für jedes Individuum. Und weil er
dabei Öffentlichkeit braucht, wird hier
nicht missioniert, sondern informiert. Fotos
dürfen trotzdem nur digital geschossen
werden. Analoge Bilder enthalten Gelatine.
Anders gesagt: Knochen toter Tiere.
Achim Stößer ist Gründer von Maqi, einer
Initiative für Tierrechte und gegen
Speziesismus, gegen die Diskriminierung
von Individuen aufgrund ihrer Artenzugehörigkeit.
Also beginnt sein Kampf bei
der Ausbeutung der Honigbiene und geht
weiter bis zur Ungleichbehandlung nach
Geschlechter und Hautfarbe. Ein weites
Feld, mag man nun denken. „Nur konsequent“,
findet Achim Stößer: „Wer Sklaverei
verurteilt, darf das Gefangenhalten
so genannter Nutztiere nicht gut heißen.
Wo liegt der Unterschied zwischen dem
Leid von Menschen und dem der anderen
Tiere?“ Es herrsche ein logischer Widerspruch
zwischen Anti-Rassismus und dem
sonntäglichen Frühstücksei. Nur dank gezielter
Täuschung könnten wir mit soviel
Unrecht leben.
In der Werbung lebt jede Kuh auf einer
Almwiese und jedes Huhn auf einem idyllischen
Kleinbauernhof. Aber egal, was
wir träumen, die Realität ist industrialisierte
Qual. „Wir lügen uns jeden Bissen
die Kehle runter.“
Der Hühnerdieb
Wenn sich Achim Stößer und seine Freunde
von Maqi in der Nacht auf den Weg
zu einer Hühnerfabrik machen, dann geht
es ihnen nicht um blinden Ökoterror. Es
geht darum, ein paar Hühner zu befreien
und vor allem den Leichenfressern die Augen
zu öffnen.
Auf der nächtlichen Fahrt zu einer Aufzuchtsanlage
für Hühner ist die Stimmung
wenig angespannt, es herrscht professionelle
Routine. Die Anlage ist nicht
bewacht, die Tür ist offen. Dahinter liegt
die Hühnerhölle: Links und rechts vom
schmalen Gang leben tausende Tiere
auf ein paar Metern, strecken ihre Hälse
durch die Gitter. Wir befinden uns in
einer Volierenhaltung. Diese feierte die
rot-grüne Regierung als großen Erfolg für
den Tierschutz. Statt 50 kommen nun 20
Tiere auf einen Quadratmeter. Das Gesetz
wurde inzwischen aber wieder aufgeschoben,
zu Gunsten der herkömmlichen Käfighaltung.
Maqi befreit nur so viele Tiere, wie später
an Tierfreunde weiter vermittelt werden
können. Heute Nacht sind das zwei Küken.
Den Tieren wurden ihre Tastorgane,
die Schnabelspitzen abgeschnitten, weil in
dieser Enge die Entwicklung eines normalen
Sozialverhaltens unmöglich wird. Das
führt zu Federpicken und Kannibalismus.
In den Eierproduktionsanlagen legen
die Hühner häufig blutverschmierte Eier
ohne Schale. Die Eindringlinge machen
Fotos von dem Elend. Dann verschwinden
sie wieder.
Angst vor Bestrafung haben die Aktivisten
nicht. Die geschädigten Betreiber fürchten
negative Publicity und schweigen lieber.
Oft bemerken sie das Fehlen von ein
paar Tieren nicht. Maqi bleibt nicht anonym.
Keine andere Initiative dieser Art
geht so offensiv mit ihrer Arbeit um. Sie
zeigen die Bilder im Internet, verteilen
sie an Journalisten, präsentieren in Fußgängerzonen
Ferkel, deren Leichen sie in
Mülltonnen von Aufzuchtsanlagen gefunden haben. Das alles macht Achim Stößer
zu einem der bekanntesten Tierrechtsaktivisten
der Republik. Er war bereits Gast
in einer Talkshow zum Thema „Ich klaue
alles, was ich kriegen kann“. Er war der
Hühnerdieb.
Ein radikaler Guru?
Stößer ist dafür bekannt, nahezu alles und
jeden, auch andere Aktivisten, zu kritisieren.
„Oft ist das nur cooler Lifestyle“,
wenn sie sich mit dem Image des Tierrechtlers
schmücken und trotzdem „Tierrechtsverletzer,
zum Beispiel Vegetarier, in
ihren Reihen dulden.“ Denn für Stößer ist
klar: „Vegetarier sind Mörder.“ Wer Tiere
befreit und trotzdem Tierprodukte isst,
schade der Sache mehr, als ihr zu nutzen:
„Denn auch für den Konsum von Menstruationsprodukten
(Eier), Drüsensekreten
(Milch) und Erbrochenem (Honig) werden
Tiere umgebracht. Allein für den Eierverbrauch
der Vegetarier in Deutschland
werden jährlich acht Millionen männliche
Küken und ebenso viele Hennen getötet.“
Deswegen teilt Stößer aus. Maqi betreibt
zahlreiche Internetseiten gegen Vegetarier,
gegen „Pseudo-Tierrechtler“, gegen
Sexismus, Speziesismus und den „religiösen
Wahn“. Dafür muss er aber auch
ordentlich einstecken. Besonders aus der
Tierrechtsszene werden immer wieder
Vorwürfe gegen Maqi und ihren „radikalen
Guru“ Stößer laut. Manch einer sieht
die Gruppe als Sekte, weil sie ständig in
Konflikt mit Angehörigen, anderen Gruppierungen
und den Behörden läge. Weil
dort eine autoritäre Lehre herrsche. Das
alles sind aber wohl eher Symptome ihres
Dogmatismus und ihrer Besserwisserei.
Eine Sekte ist Maqi nicht. In Internetforen
schwingt er dann gegen seine Kritiker
auch mal die historische Keule: „Das sind
Goebbels-Methoden.“
Die Sklavenkuh
Vor solchen Vergleichen schreckt Achim
Stößer nicht zurück. Immer wieder zieht
er Parallelen zwischen Nutztierhaltung
und Sklaverei, zwischen Legebatterien
und Konzentrationslagern, zwischen
Hühnerbefreiung und DDR-Fluchthilfe.
Dass sich bei solchen Analogien nicht nur
dem Historiker die Nackenhaare aufstellen,
sieht Stößer gelassen: „Vieles, was früher
als Unrecht galt, ist heute eine ethische
Selbstverständlichkeit. Wir müssen unsere
heutigen Verbrechen als solche erkennen
und stoppen.“ Rechtfertigt er sich für diese
Vergleiche, zitiert er Adorno: „Auschwitz
beginnt da, wo jemand im Schlachthof
steht und denkt, es sind ja nur Tiere.“
Seine Radikalität basiert auf einer simplen
Annahme: „Menschen sind Tiere wie andere
auch.“ Er sagt: „Deshalb kämpft Maqi
konsequent für die Abschaffung anstatt
einer bloßen Reform der Tierausbeutung.
So wie die Gegner der Sklaverei nicht für
leichtere Ketten und sanftere Folter eintraten,
sondern für deren Ende.“ Wir sollen
den Sklaven im Steak erkennen. -f-