Stadt verbannt Glaubensgemeinschaft aus der Markthalle

Vertrag mit dem Naturkoststand Lebe Gesund gekündigt - Anwälte der Sekte aus Marktheidenfeld wollen vor Gericht ziehen

Am Stand der Firma Lebe Gesund in der Markthalle gibt es nicht nur Biobrot, sondern auch Werbeprospekte einer Sekte im Dunstkreis der selbst ernannten Prophetin Gabriele Wittek. Zu dieser Ansicht ist die Stadt gelangt. Jetzt wurde der Firma gekündigt.

Morgens um acht gehen am Verkaufsstand 029 in der Markthalle die ersten Bärlauchgläser über die Theke. Die Bioprodukte mit dem Etikett Lebe Gesund stehen bei vielen Stuttgartern ganz oben auf der Einkaufsliste. Wer weiß schon, dass man hier auch in den Genuss von Werbematerial für eine umstrittene Glaubensgemeinschaft namens Universelles Leben kommen kann? Und wer weiß schon, dass im Hauptquartier dieser Sekte im fränkischen Marktheidenfeld eine Prophetin von eigenen Gnaden lebt, deren Anhänger sagen, Jesus Christus selbst spreche aus ihr? Das alles spielt an diesem Morgen in der Markthalle keine Rolle. Die Kundschaft kauft ein - das Bauernbrot spricht für sich.

Doch am Verkaufsstand 029 könnten schon bald die Lichter ausgehen, denn die Stadt hat jetzt den Vertrag mit der Firma zum Ablauf des nächsten Monats gekündigt. Nach Ansicht von Wirtschaftsbürgermeister Dieter Blessing handelt es sich bei den Gesinnungsgenossen der selbst ernannten Prophetin Gabriele Wittek keineswegs um einen harmlosen Gebetskreis, der sich ein bisschen Taschengeld mit selbst vermarkteten "Produkten ohne Mist und Gülle" verdient. Blessing spricht vielmehr von Umtrieben einer Sekte und will es nicht länger hinnehmen, dass in der Markthalle "vertragswidrig für das Universelle Leben geworben wird".

Obwohl den Marktbetreibern bereits vor fünf Jahren wegen der Werbung für die Glaubensgemeinschaft eine förmliche Abmahnung erteilt worden sei, habe sie jetzt wieder eine Broschüre verteilt, "die inhaltliche Äußerungen über die Sekte Universelles Leben wiedergibt", sagt Blessing. Vor diesem Hintergrund habe er der im fränkischen Marktheidenfeld angesiedelten Firma schriftlich mitgeteilt, dass sie ihren Stand nach Ablauf der Kündigungsfrist zu räumen habe. Wohl wissend, dass die Glaubensgemeinschaft erfahrene Juristen in ihren Reihen hat, die alle Hände voll mit Prozessen gegen Personen und Institutionen zu tun haben, von denen sich die Wittek-Getreuen verleumdet fühlen.

In einem Schreiben an die Rathausspitze ist der Anwalt Christian Sailer bereits ziemlich deutlich geworden: "In Stuttgart scheint ein neues Mittelalter ausgebrochen zu sein: Anders ist die Hysterie und verleumderische Hetze nicht mehr zu erklären, mit der die von mir vertretene Firma aus der Markthalle vertrieben werden soll." Für den Fall, dass die Stadt seinem Mandanten kündige, werde dies "die Gerichte beschäftigen".

Die Anwälte der streitbaren Glaubensgemeinschaft beziehen sich vor Gericht meist auf Artikel 4 des Grundgesetzes, der die Freiheit des Glaubens postuliert. "So weit Mitarbeiter der Firma Lebe Gesund der Glaubensgemeinschaft Universelles Leben nahe stehen, handelt es sich um deren Privatangelegenheit", teilen sie der Stadtverwaltung mit. An der Verfassungstreue der Gemeinschaft bestehe kein Zweifel.

Wie aber soll der Staat mit einer Organisation umgehen, die nach Ansicht der Sektenexpertin und SPD-Landtagsabgeordneten Carla Bregenzer "der Werteordnung unseres Grundgesetzes zuwiderläuft und für den gläubigen Anhänger Gesundheitsgefahren birgt"? Diese Frage hat zumindest Dieter Blessing für sich bereits beantwortet. "Es kann einfach nicht sein, dass man beim Einkaufen von Brot und Gemüse missioniert wird", sagt der Bürgermeister. In der Praxis geschieht dies freilich über einen Umweg: In den verteilten Broschüren wird nämlich für Bücher aus einem ebenfalls in Marktheidenfeld angesiedelten Verlag geworben. Über die angegebene Internetseite kann man sich im Handumdrehen auf der Homepage des Universellen Lebens durchklicken.

Diese Art der Werbung ist Michael Fragner bestens bekannt. Drei Jahre lang hat er als evangelischer Pfarrer in einem 450-Seelen-Flecken namens Michelrieth unweit von Marktheidenfeld gearbeitet. Dort leben führende Köpfe der Sekte, die nach Einschätzung von Fragner weltweit rund 10000 Anhänger hat. Die Arbeit des Seelsorgers erwies sich in dem gespaltenen Dorf als schwierig, "denn ungefähr die Hälfte der Dorfbewohner sind Sektenmitglieder". Der Pfarrer hat den Kampf gegen das Universelle Leben aufgenommen und mit Hilfe von Behörden ein Netzwerk für Aussteiger eingerichtet.

Nach allem, was er mit der Sekte erlebt hat, ist für ihn eines klar: Hinter den Marktständen, die von der Glaubensgemeinschaft in vielen Städten der Republik betrieben werden, stecke "auch das Ziel der Anwerbung". Dies hat er aus seinen Gesprächen mit Aussteigern der Sekte geschlossen. Und noch eines hat er dabei erfahren: Für viele Wittek-Gläubige herrschte im Umkreis der Prophetin "ein Klima der Angst und des Terrors".


Michael Ohnewald, Stuttgarter Zeitung, 1. August 2001

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