Gibt es in der Markthalle "Produkte mit Unmoral"?

Zweite Kündigung gegen unliebsamen Lebe-Gesund-Stand - Mehr als 40 Verkaufsstellen in Süddeutschland

Die Auseinandersetzung um den Lebe-Gesund-Stand in der Markthalle droht zur Posse zu werden. Die Kündigung zum heutigen Samstag ist hinfällig - nun soll der Stand am 30.September geräumt sein. Nutznießer der unübersichtlichen Lage ist die umstrittene Organisation Universelles Leben.

Die erste, außerordentliche Kündigung zum 31.August gegen die Firma Lebe Gesund Steinmühlen-Brot GmbH hatte Bürgermeister Dieter Blessing bereits Ende Juli ausgesprochen. Als Begründung nannte Blessing einen Verstoß gegen die Nutzungsbedingungen der Markthalle; dies sei durch das Auslegen einer Broschüre "Der friedfertige Landbau" geschehen. Darin annonciert auch der Verlag Das Wort, der die Schriften der äußerst umstrittenen Glaubensgemeinschaft Universelles Leben (UL) vertreibt.

Die Firma widersprach der Kündigung, scheiterte aber mit einer einstweiligen Verfügung. Am 22.August war Blessing zuversichtlich: "Ich hätte nicht gekündigt, wenn ich vom Erfolg nicht überzeugt gewesen wäre." Am selben Tag reichte die Stadt die Räumungsklage ein.

Hinter vorgehaltener Hand war freilich von einem juristischen Schnellschuss die Rede, der zwar das richtige Ziel habe, aber von den falschen Personen mit dem falschen Inhalt und zum falschen Zeitpunkt abgegeben worden sei. Fünf Tage später ist man klüger. Am 27. August kündigt nunmehr Wolfgang Thiele, Geschäftsleiter des städtischen Eigenbetriebs VMS - ordentlich und ohne Angabe von Gründen zum 30. September. Das UL hat widersprochen. Die Stadt ist zuversichtlich, die Räumungsklage zu gewinnen.

Das ist nicht der einzige Rechtsstreit. Michael Föll, CDU-Fraktionschef im Rathaus, hatte im Juli eine Verbindung zwischen dem Marktstand und dem UL gezogen. Hinter letzterem, so Föll, verberge sich eine "skrupellose Organisation", die eine "totalitäre Weltanschauung" vermittle. Das Universelle Leben e.V. hat Föll wegen Volksverhetzung angezeigt. Föll will standfest bleiben; er sagt, er habe "nichts zurückzunehmen".

Der Stadtrat nimmt weniger den Marktstand, sondern das Universelle Leben ins Visier. Föll: "Es stellt sich die Frage, unter welchen Voraussetzungen diese Lebensmittel produziert werden. Solche Produkte können eine Unmoral in sich bergen..."

Das 1984 von der selbst ernannten Prophetin Gabriele Wittek ins Leben gerufene UL wird von Behörden und Sektenbeauftragten seit Jahren kritisiert. Aussteiger wie Hans-Walter Jungen werfen UL vor, dass es "hier um die geistige und materielle Herrschaft" gehe. Und Aussteiger Volker Kempf klagt: "Es kann die Hölle sein - wenn man es sich nur eingesteht!" Auch in Stuttgart wenden sich immer wieder Betroffene an die Sektenexperten der Landesregierung.

Eine fundierte Kritik leistet eine Sekten-Informationsschrift des Berliner Senats, gegen die das UL gerichtlich vorgeht. In einem Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 8. April 1998 heißt es hierzu, es gebe "hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass die Tätigkeit (...) des Universelles Lebens der Werteordnung des Grundgesetzes (...) zuwiderläuft und für den gläubigen Anhänger Gesundheitsgefahren birgt". Doch gibt es auch andere, für das UL positive Urteile.

Ebenso widersprüchlich sind die Beziehungen zwischen der rechtlich nicht organisierten Glaubensgemeinschaft (in Stuttgart in der Kronenstraße 41), und den so genannten Christusbetrieben, denen der Stuttgarter Marktstand zugetan ist. Der Kern des UL, die Bundgemeinde, umfasst nur einige hundert Mitglieder. Die Zahl der Anhänger wird aber auf Zehntausende geschätzt. Zu dem UL-nahen Wirtschaftskonglomerat, das sich im Raum Würzburg ballt, gehören neben den mehr als 40 Lebe-Gesund-Verkaufsstellen in Süddeutschland der Verlag, eine Radiostation, eine Klinik, eine Schule, eine Sozialstation, ein Altenheim und Kindergärten.

"Das Universelle Leben ist kein Gesellschafter auch nur eines Christusbetriebes", betont Christian Sailer, Anwalt und Pressesprecher des UL; der Verein lebe "ausschließlich von Spenden". Die Rechtskonstruktion der bis zu 25 Christusbetriebe solle nichts verbergen, sie habe "ausschließlich steuerliche Gründe". Die Frage nach dem Gesamtumsatz bleibt unbeantwortet. Selbst eine nachweisbare personelle Verbindung zwischen dem UL-Zentralorgan "Das Friedensreich" - Herausgeber ist die Gabriele-Stiftung - und dem auch in der Stuttgarter Markthalle aktiven Lebe-Gesund-Versandhandel irritiert Sailer nicht: Es gebe eben "einige Leute, die in vielfältiger Hinsicht sehr aktiv" seien.

Die Sekteninformation des Berliner Senats findet sich unter: www.sensjs.berlin.de


Michael Isenberg, Stuttgarter Nachrichten, 1. September 2001/a>

Internet:http://maqi.de/ul