Tag der offenen Tür auf dem Pferdehof

Wo Jugendliche und Pferde Freunde sind

Reiten ohne Sattel? Das kennt man aus Indianerfilmen. Wenn man dann sieht, wie ein zwölfjähriges Mädchen auf einem ausgewachsenen braunen Norwegerpferd sitzt und ganz ohne Sattel und Zügel mit ihm durch die Reithalle trabt - ist das die Möglichkeit?

Einen neuen Umgang zwischen Mensch und Tier wollen sie einüben an der Christusschule in Esselbach. So erklärt es jedenfalls die Lehrerin, die selbst auch reitet. Für das gute Dutzend Mädchen und einen Jungen aus der vierten bis siebten Klasse, die an diesem Vormittag „ihre" Pferde präsentieren, ist es tägliche Praxis: Die Tiere sind ihre Freunde.

Die Besucher, die vom Tag der offenen Tür im Einkaufsland „Alles für Alle" zum Hof nach Esselbach herübergekommen sind, staunen. „Normalerweise sagt man in der Reitschule: Stell dich niemals hinter das Pferd. Es könnte ausschlagen", erklärt die Lehrerin den Besuchern. „Aber unsere Pferde vertrauen uns und wir vertrauen ihnen." Die Mädchen streicheln während dieser Worte die sechs Norweger am ganzen Körper - auch hinten an den Beinen. Später springen sie sogar von hinten auf das Pferd. Andere rascheln währenddessen mit Plastiktüten - manch anderes Pferd würde da vermutlich durchgehen. Doch Alicia, Arischa, Orion, Oricco, Alim und Bonnie bleiben ganz ruhig - sie wissen durch die Körpersprache der Kinder, dass alles in Ordnung ist.

Dieser Umgang mit den Pferden will allerdings gelernt sein. Als ich ein Tier am Kopf berühren will, weicht es zurück. „Du musst dich erst einmal beschnuppern lassen", erklärt mir eines der Mädchen. In speziellen Kursen nach einer Methode, die an anderer Stelle bereits ausführlich erprobt wurde, lernen die Schüler einiges über die Denkweise und Körpersprache der Pferde und darüber, wie wir Menschen uns den Pferden verständlich machen können.

Zum Reiten ohne Sattel genügt dann eine Art Halfter aus einer weichen Schnur, der das Gebiss der Pferde aber nicht berührt - oder ein „Stecken". „Das ist keine Peitsche, sondern ein verlängerter Arm", erfahre ich. Will der Reiter nach rechts reiten, so deutet er in diese Richtung und schaut auch dorthin. Soll das Pferd anhalten, so nimmt er den Kopf des Tieres etwas zur Seite. „Wenn der Kopf nicht mehr gerade blickt, kann das Pferd auch nicht mehr geradeaus laufen. Es bleibt stehen."

Die Pferde scheinen genau zu wissen, dass sie Teil einer Vorführung sind. „Alicia hat bei den Proben öfter gezögert oder gebockt", erzählt eines der Mädchen. „Aber heute war sie ganz ruhig."

Die Norweger wissen, dass die Kinder sie nicht einfach als Freizeitobjekt benützen - es sind ihre Freunde, die immer wieder an den Nachmittagen kommen und sie putzen und pflegen, egal bei welchem Wetter. Regelmäßig werden auch ihre Hufe gebadet, denn sie tragen natürlich keine Hufeisen.

Als in der Abschlussbesprechung gefragt wird, wer von den Kindern am Nachmittag ausreiten will, gehen viele Finger hoch. „Aber lasst ihnen erst eine Pause", sagt die Lehrerin. „Sie haben es verdient."


"Das Weisse Pferd" Nr. 10 / 2000

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