"Die Kündigung ist moderne Inquisition"

"Lebe-Gesund"-Stand will nur einem Räumungsurteil weichen - Rechtsamt prüft

Auf der Vorderseite wird für Gurken, Tomaten, Ciabatta-Brot und Pesto geworben, auf der Rückseite schwere Geschütze gegen die Stadt aufgefahren: "Hexenjagd in der Markthalle" steht auf dem Flugblatt, mit dem die Firma "Lebe Gesund Steinmühlen-Brot" prompt auf die Kündigung ihres Standes in der Markthalle reagiert.

Nach dem Willen der Stadt muss die Firma "Lebe Gesund" ihren Stand zum 31. August aufgeben. Denn für Wirtschaftsbürgermeister Dieter Blessing war mit einer Broschüre, die "inhaltliche Äußerungen über die Sekte Universelles Leben' wiedergibt", das Maß voll. Nachdem bereits 1995 wegen eines einschlägigen Vorfalls - es wurde für eine religiöse Veranstaltung geworben - eine Abmahnung ausgesprochen worden sei, könne nun nicht länger geduldet werden, dass hier vertragswidrig im Rahmen eines Verkaufsstandes eine Sekte präsentiert werde.

"In der Broschüre wurde nicht für religiöse Belange geworben", hält der Anwalt der Firma, Christian Sailer, entgegen. Die Broschüre habe neben der Werbung für Produkte lediglich eine Werbung für den Verlag "Das Wort" und einige Bücher enthalten. Dieser Verlag ist ebenfalls in Marktheidenfeld, dem Sitz von "Universelles Leben", zu Hause. Sailer hat die Kündigung als unbegründet zurückgewiesen und wissen lassen, dass die Firma nur einem vollstreckbaren Räumungsurteil weichen werde. Dafür müsse die Stadt Räumungsklage erheben. Andernfalls erwarte er bis einschließlich Montag, 6. August, die Zusicherung, dass der Verkauf in keiner Weise behindert werde.

Die Stadt hat bis gestern nicht auf dieses Ultimatum reagiert. "Das Rechtsamt prüft jetzt die Angelegenheit", heißt es im Referat von Ordnungsbürgermeister Jürgen Beck, auf dessen Schreibtisch die Sache landete, nachdem Blessing in Urlaub ging.

Als "moderne Inquisition" beklagt Michael Groß vom Stand diese Kündigung. Es sei wie im Mittelalter, "wer den falschen Glauben hat, wird aus der Stadt vertrieben". Sailer bestreitet auch einen direkten Zusammenhang zwischen "Lebe Gesund" und der Glaubensgemeinschaft: Die Firma sei ein selbstständiges Handelsunternehmen. In deren Namen will er heute am Landgericht Stuttgart per Eilverfahren klären lassen, dass die Kündigung unbegründet sei.

Auf einem zweiten Kriegsschauplatz streitet Sailer mit dem CDU-Fraktionsvorsitzenden Michael Föll, der die Sekte unter anderem als "skrupellose Organisation" bezeichnete. Nachdem die geforderte Unterlassungserklärung nicht eingegangen sei, werde er die Sache vors Verwaltungsgericht bringen. Vorm Verwaltungsgericht München unterlag bereits 1998 der Freistaat Bayern in gleicher Causa: Die Landeszentrale für politische Bildungsarbeit musste 1998 eine Broschüre mit ähnlichen Behauptungen einstampfen. Und vor dem Verwaltungsgericht Würzburg erkämpfte "Gut zum Leben naturgemäße Landwirtschaft GmbH & CO.KG" die Förderung nach dem Kulturlandschaftsprogramm, die ihr bis dahin verweigert worden war.


Heidemarie A. Hechtel, Stuttgarter Nachrichten, 7. August 2001

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