Sünden abbauen durch Bioanbau? – Die Biomarke "Gut zum Leben"

Göttlich: mehr als Bio

Auf den Etiketten erfährt der Kunde, dass die Waren von den "Gütern Neu-Jerusalem" stammen. Was praktisch ein offenes Geheimnis ist: Die Lebensmittel der Marke "Gut zum Leben" werden überwiegend von Menschen erzeugt, die die Natur aus einer religiösen Motivation heraus schützen wollen - sie suchen ihr Seelenheil bei der Religionsgemeinschaft "Universelles Leben" (UL) und nennen sich "Urchristen". Von Kritikern wie den etablierten großen Kirchen als Sekte bezeichnet, liegt das Zentrum der Bewegung in Würzburg und Umgebung, von wo das "Friedensreich Jesu Christi auf Erden" aufgebaut werden soll: Die "Güter Neu-Jerusalem" und weitere Einrichtungen wie die "Lebe Gesund Steinmühlen GmbH" und das große Einkaufszentrum "Alles für Alle", aber auch der Verlag "Das Wort" und die "HG Naturklinik Michelrieth" sind in Ortschaften um Würzburg angesiedelt: zum Beispiel Marktheidenfeld, Altfeld, Michelrieth.

Auch Massimiliana ist zusammen mit ihrem Mann vor Jahren aus Mailand nach Deutschland gekommen, "um hier mitzumachen". Die 37jährige lebt in Mannheim mit anderen Anhängern des Universellen Lebens zusammen und arbeitet bei "Hin zur Natur". Rund 30 Mannheimer kommen regelmäßig in den Räumen des "Universellen Lebens" in der Schwetzinger Straße zusammen, um sich für den "Inneren Weg der selbstlosen Nächstenliebe" zu stärken und den Ausführungen ihrer "Prophetin" Gabriele Wittek zu lauschen. "Wir sollen das ‘Ich’ abbauen", erläutert Ida den "Inneren Weg". Die Räume finanzieren sie selber. "Jeder gibt so viel, wie er eben kann", sagt Ida, eine der 4 Hauptverantwortlichen der Mannheimer "Urchristen". Finanzielle Unterstützung aus Würzburg komme nicht - vielmehr gingen noch Spenden aus Mannheim ins unterfränkische "Friedensreich".

Die Anhänger des UL glauben, dass aus Gabriele Wittek Jesus Christus selber spricht. Auch die Aufforderung für den Einstieg in die ökologische Landwirtschaft, so ist den Schriften des UL zu entnehmen, habe Gabriele Wittek von Christus selbst erhalten.

Stuttgart: Raus aus der Markthalle?

In Stuttgart wurde dem Stand von "Gut zum Leben" in der Markthalle nach langen Jahren der Mietvertrag gekündigt. Der Vorwurf: Dort seien Broschüren verteilt worden, in denen auch für die "Sekte" geworben werde. Die Stuttgarter Fraktionen der großen Parteien witterten Missionierung. Nun entscheidet das Oberlandesgericht, ob der Stand bleiben kann. In Mannheim dagegen habe es in den langen Jahren der Teilnahme von "Gut zum Leben" auf dem Wochenmarkt nie Beanstandungen gegeben, erklärt Thomas Sprengel von der Grossmarkt GmbH.

"Anspruch auf Besitz der alleinigen Wahrheit"

Seit Jahren schon beobachtet auch die "interministerielle Arbeitsgemeinschaft für Fragen sog. Sekten und Psychogruppen" im Ländle das UL. In einer Stellungnahme des Ministeriums für Kultus und Sport sieht die Landesregierung das UL als eine Vereinigung, "die den Anspruch erhebt, im Besitz der alleinigen Wahrheit, gerade auch gegenüber anderen Religionen, zu sein".

"Jeder kann glauben, was er will" meint dagegen Massimiliana - völlig zu Recht, und verweist auf die türkischen Angestellten bei "Hin zur Natur": "Die glauben an Allah und wir an unseren Gott".

Wo liegt also das Problem?

"Die Anderen waren die Buhmänner"

"Wir sind weiter als der ökologische Landbau" liest man in der Broschüre "Der friedfertige Landbau". Die Landwirte der "Güter Neu-Jerusalem" hätten den "Einklang mit der Natur" wieder hergestellt: Drei-Felder-Wirtschaft mit einem Jahr Brache, Düngung mit Mineralien und pflanzlichen Naturstoffen. Mist und Gülle als Düngemittel wie überhaupt die Nutztierhaltung werden kategorisch abgelehnt. Folgerichtig sind die meisten der UL-Anhänger auch Vegetarier oder leben vegan, also ganz ohne tierische Produkte. Tiere leben auf den Höfen im Frankenland trotzdem: Nicht als Nutztiere, sondern als "Mitgeschöpfe", "Tiergeschwister", als "Übernächste". Sogar ein Hof eigens für Tiere wurde gegründet. Dass andere Biobauern Tiere "artgerecht" halten, um sie zu nutzen und zu schlachten, ist für die Anhänger des UL nicht vertretbar. Auch für Georg Thalhammer nicht. Seit 20 Jahren ist er Vegetarier, allerdings "kein fanatischer". 18 Jahre lang war der Oberbayer beim Universellen Leben - ein "Urchrist" der ersten Stunde, später Leiter eines Betriebes von "Gut zum Leben" mit 70 Angestellten und ehemaliger Vorsitzender der baden-württembergischen "Arbeitsgemeinschaft Naturgemäßer Obst- und Gemüseanbau" (ANOG). Zwei Höfe hat er aufgebaut, den ersten Biohof von "Gut zum Leben" überhaupt und den Kräuterhof Höhefeld bei Wertheim am Main. Was den Landwirt aber zusehends störte, war die negative Bewertung anderer Biobauern, die auch Tiere hielten. "Der Mist von ‘unseren’ Tieren wurde von anderen Bauern abgeholt. Damit hatte man selber eine reine Weste und die anderen waren die Buhmänner". Als der langjährige "Bruder" seinen Unmut darüber kundtat, habe er schnell gemerkt, dass er alleine dastehe.

Nach Jahren der inneren Distanz stieg Thalhammer im Herbst 2001 endgültig aus, nachdem ihm von der CB-Beteiligungsgesellschaft gekündigt wurde: Man wollte mit einem Aussteiger nicht zusammenarbeiten.

"Wer mit seinen Feldern reden will, soll das tun"

Einen qualitativen Unterschied gegenüber der ökologischen Landwirtschaft außerhalb der "Güter Jerusalems" sehen die "Geschwister" des UL außerdem darin, dass sie auch Pflanzen, Steine und Boden nicht als seelenlose Materie betrachten - freilich kein singuläres Kennzeichen der "Gut zum Leben"-Bauern. Die Landwirte "spürten" die Bedürfnisse des Bodens und sprächen mit ihren Feldern. Eine Beziehung zum Feld haben, erklärt Georg Thalhammer, könne einfach heißen, den Boden zu bearbeiten, wenn er abgetrocknet ist: Dann hielten sich Lebewesen wie z.B. Regenwürmer in tieferen Schichten auf und würden nicht verletzt.

"Wer mit seinen Feldern sprechen will, soll das tun", meint dazu Michael Morawitz von der Bundes-ANOG, durch die die UL-nahen Höfe bis letztes Jahr zertifiziert wurden. Zum 31.12.2001 wurde die Mitgliedschaft in der ANOG allerdings gekündigt, die zeitgleich bei "Naturland" eingegliedert wurde. Die "Güter Neu-Jerusalems" hätten von der ANOG viel profitiert und sich jetzt offenbar "stark genug gefühlt, um alleine durch die Republik zu marschieren". Die EG-Öko-Zertifizierung der "Christus-Betriebe" bleibt unabhängig davon bestehen.

"Man sieht sich nur noch als Sünder"

Während Talhammer sich in den Anfangsjahren für seine "Prophetin" "in den Kugelhagel geworfen" hätte, habe er deren absoluten Anspruch auf die Wahrheit - auch außerhalb der "Offenbarungen" - in den letzten Jahren nicht mehr akzeptieren können. Es werde der Schein erweckt, dass das Urchristentum auferstehe, kritisiert der freundliche Oberbayer ohne Groll. "In Wirklichkeit wird sehr viel mit Angst gearbeitet: Man sieht sich selbst nur noch als Sünder."

Die "Lehre" der Gabriele Wittek besagt nämlich, dass die Menschen gefallene Geistwesen seien, die sich irgendwann "zum Negativen gewendet" und deshalb auf die Erde gekommen seien. Die Seele der Menschen, so glauben die "Urchristen", kehre so lange zur Erde zurück, bis sie die Schuld bereinigt hätten. Grundlegende Bedeutung hat in diesem Zusammenhang das "Gesetz von Saat und Ernte": Es widerfahre einem Schlechtes, wenn man seinen Mitmenschen, Mitgeschöpfen oder der Umwelt negative Gedanken oder Taten entgegenbringe. Auch der Umkehrschluss gilt: Widerfährt einem Schlimmes - z.B. schwere Krankheit, so hat man es selbst "verschuldet" - ob in diesem oder in einem vorigen Leben. Jeder sei demnach für sein Schicksal selbst verantwortlich. Für Massimiliana ist das "Gesetz von Saat und Ernte" Ansporn genug, zu versuchen, ein besserer Mensch zu sein. Schon in diesem Leben könne man etwas dazu beitragen, dass die "Ernte" früherer Untaten nicht unmittelbar zurückkomme, davon ist sie offenbar überzeugt.

Viele Anhänger von "Gabi" hatten anfänglich ein spirituelles Erlebnis mit ihrer "Prophetin" - auch Ida in Mannheim: Während der Telefon-Übertragung eines der sonntäglichen Zusammentreffen in Würzburg "war ich mir plötzlich sicher, dass so nur Gott sprechen kann".

Gegen ein spirituelles Erlebnis sei per se nichts einzuwenden, meint Christoph Bussen, katholischer Sekten- und Umweltbeauftragter des bischöflichen Ordinariats Speyer. Problematisch werde es aber dann, wenn keine Kritik geäußert werden dürfe: In einem Artikel hatte Bussen Praktiken der "Urchristen" in Frage gestellt bzw. davor gewarnt - und sich prompt eine Klage wegen Volksverhetzung eingefangen.

Größter Fehler: Selbständigkeit aufgeben

"Ich möchte die Zeit nicht missen, ich habe dort viel gelernt", sagt Georg Thalhammer, in Erinnerung vor allem an die Anfangsjahre. Mit der Zeit seien "gewisse Verkrustungen und Hierarchien" entstanden. Kritiker sehen in der Organisation des UL sogar "totalitäre" Strukturen. Talhammer: "Überall, wo wenige Menschen alles entscheiden, herrschen totalitäre Strukturen". Die Planungen für das große Einkaufszentrum "Alles für Alle" in Altfeld zum Beispiel seien der Gemeinschaft erst "zum Abnicken" vorgestellt worden, als alles bereits niet- und nagelfest war, erzählt der Aussteiger. Die "Gut zum Leben"-Betriebe sind in einer Holding zusammengefasst, mit der jeweils Verträge zur Gewinnabführung bestehen. "Ich bin jetzt davon überzeugt, dass nur selbstständige Menschen und Betriebe, die nicht von der Willkür einiger Weniger abhängig sind, auf einer freiwilligen Basis der Zusammenarbeit so etwas wie Urchristentum miteinander pflegen können", meint der 44jährige Landwirt und Vater von 4 Kindern, der sich jetzt mit dem Vertrieb eines dänischen Bio-Produktes selbständig gemacht hat.

Die "Gabriele Stiftung", die als "Saamlinisches Werk der Nächstenliebe" Lebensraum für Tiere und Natur schaffen will, habe sich als stiftungseigene Betriebe "die Zuckerle rausgesucht", umschreibt Thalhammer die Wirtschaftskraft der Stiftungsbetriebe. Es gebe durchaus eine kleine Schicht im UL, die "ein etwas dickeres Auto" fahre, weiß der ehemalige UL-Anhänger. Die Mitarbeiter würden zwar nach Tarif bezahlt, es bestehe aber keine 40-Stunden-Woche: Oft werde 50-60 Stunden oder mehr gearbeitet.

Für Georg Thalhammer und seine Frau war es möglich, sich eine eigene, auch kritische Meinung zu bilden - aber, so der Biolandwirt: "Wenn man innerlich nicht selbstständig ist, fällt das schon schwer."


Sibylle Heusel, Trend Nr. 3, 2002

Internet:http://maqi.de/ul