Wikipedia: Wo der Mob regiert
In den "wissenschaftlichen" Beiträgen in Wikipedia finden sich im Schnitt
angeblich "nur"[sic!] vier[!] Sachfehler [1] - wie sieht es da erst in
ideologisch umkämpften Bereichen aus? Wikis sind - im besten Fall -
Müllhaufen verantwortungsloser Faulenzer, oft jedoch manipulatives Mittel
der Macht des Mobs.
Erst kürzlich bemerkte ich beispielsweise auf der Suche nach Informationen
über Osho alias Bhagwan etc., den fast hundert Rolls Royce fahrenden Guru,
daß kritische Ansätze in seinem Wikipedia-Eintrag praktisch fehlen, da der
Eintrag offenbar von einigen seiner Anhänger manipuliert wird, die sich
vergeblich bemühen, Neutralität vorzutäuschen (Stand 22. Februar 2007 - dies
gilt für alle hier getroffenen Aussagen über Seiten, deren Inhalte sich
sekündlich ändern können).
Fast komisch mutet es an, wenn Anhänger der Sekte Universelles Leben auf der
Seite ihrer Zeitschrift "Das Weisse Pferd" jammern, "Wikipedia [werde]
missbraucht, um unbescholtenen religiösen Minderheiten wie der
Glaubensgemeinschaft [UL] übel mitzuspielen" [2], während es in Wahrheit
unmöglich ist, dort einen Verweis auf die von Konkurrenzsekten unabhängige,
umfassende und somit wohl wichtigste UL-kritische Internetseite
(http://antispe.de/ul) zu setzen.
Doch nicht nur der theistischen Propaganda öffnet die von der Masse regierte
Wikipedia Tür und Tor, hier hat Wikipedia-Administratorin Nina Gerlach recht
(auch wenn nicht nachvollziehbar ist, weshalb sie darin etwas Positives
sieht). Auch gegen beispielsweise speziesistische kommt ein Häuflein derer,
die sich gegen die Ausbeutung nichtmenschlicher Tiere einsetzen, nicht an.
Das betrifft nicht nur die Texte der Wikipedia selbst, sondern auch und vor
allem die in den Einträgen enthaltenen Verweise. So ist es etwa unmöglich,
in den Einträgen über Veganismus, Tierrechte usw. einen Verweis auf
http://veganismus.de oder andere Seiten der Tierrechtinitiative Maqi
hinzuzufügen, der nicht binnen kürzester Zeit vom Wikimob entfernt wird -
etwa mit der absurden Begründung, es handle sich um "Linkspam", also den
Versuch, Links zu (meist inhaltsfreien oder -armen) Seiten zu setzen, um
deren vermeintliche Bedeutung zu erhöhen. Abgesehen davon, daß diese Seiten
in Wahrheit umfangreiche und originäre Inhalte aufweisen, kommt der
Löschvorwand pikanterweise häufig von Personen, die tatsächlich Linkspam
betreiben: die Wikipedia-Einträge verweisen statt auf seriöse Seiten
überwiegend auf zahlreiche von ihnen initiierte Seiten praktisch ohne Inhalt
oder voller Desinformationen (oft wiederum Wikis), auf völlig unbedeutetende
Seiten oder jene von Spendensammelorganisationen. Sinn dieses Vorgehens ist
klar: wer nach Informationen sucht, soll von Seiten, die tatsächlich etwas
zur Verbesserung der Tierrechte, zur Förderung des Veganismus beitragen
können, ferngehalten werden.
Angesichts dessen klingt Gerlachs Behauptung, "[d]iejenigen, die die besten
Argumente haben, konstruktiv und freundlich sind, setzen sich [...] durch"
wie Hohn.
Und das Problem reicht viel weiter: Gleich, ob man nach Informationen über
"Bananen", "1989", "Darwin" oder "Huxley" sucht - fast immer setzt Google
einem als ersten Link den zur Wikipedia vor die Nase. Selbst wer weiß, daß
Wikipedia nichts mit der Wirklichkeit zu tun hat - der US-amerikanischen
Satiriker und Kabarettist Stephen Colbert prägte dafür den Begriff
"Wikiality" (aus "Wikipedia" und "Reality")und rief erfolgreich dazu auf,
Falschinformationen über Elefantenpopulationen in die virtuelle Realität
einzubauen [3] - und deshalb den ersten Suchmaschinentreffer ignoriert, hat
kaum eine Chance, Fakten zu finden: da als Kriterium von Suchmaschinen für
ein hohes Ranking, also eine Nennung an einer der ersten Stellen der
Trefferliste u.a. gilt, daß die betreffende Seite von vielen, ebenfalls hoch
gerankten Seiten, verlinkt ist, werden auch hier statt der Seiten, die
wirklich hilfreich wären, zuerst die in der manipulierten Wikipedia
verlinkten angezeigt.
Wer politisch unliebsame Fakten nennt, ob GBS oder Maqi, wird als
"Politsekte" diffamiert.
Ein Kuriosum am Rand: während zahlreiche Politiker ihre Wikipedia-Einträge
schönfärben (lassen)[4], findet, wer nach meinem Namen googelt, natürlich
neben einem fehlerstrotzenden Wikipedia-Eintrag diverse weitere Wikis, Blogs
usw. voller Unfug bis hin zu Verleumdung.
All dessen ungeachtet verweisen mittlerweile bereits Universitätsdozenten
ihre Studenten häufig auf Wikipedia als Quelle, und bei einem Discounter gab
es kürzlich die Wikipedia als CD.
Die Erfinder der Wikipedia haben eine Büchse der Pandora geöffnet - und
wenden sich inzwischen anderen Dingen zu. Das Orwellsche
Wahrheitsministerium hätte seine Freude an Wikipedia: Myriaden Winston
Smiths fälschen die Realität - nur haben sie sich nie aufgelehnt, sondern
schon immer verbreitet, zwei und zwei sei fünf.
[1] "Internet encyclopaedias go head to head", Nature 438, 900-901, 15.
Dezember 2005
[2] "Religionswissenschaft, Information Nr. 3, Universelles Leben, Warnung
vor Wikipedia-Eintrag" (das-weisse-pferd.com/universelles_leben_wikipedia.html)
[3] "Krise der Wikipedia - Unleserlicher Mist", Süddeutsche Zeitung Nr.282,
07. Dezember 2005
[4] "USA: Wikipedia-Lexikon verfälscht", taz vom 2.2.2006, S. 10
erschienen in MIZ 1/2007